Mittwoch, 8. Oktober 2014

Prison Break und am Abgrund unserer Gesellschaft

Nach einem eher erholsamen Wochenende, ging es am Montag steil los. Mit einer langen Fahrt machten wir uns auf den Weg ins Jungengefängnis nahe der Stadt Cabo de Santo Agostinho. Begleitet wurden wir von Danilo, einem Mitarbeiter des Projektes Levante und vom freiwilligen Mitarbeiter (arbeitet seit 19 Jahren(!) ehrenamtlich mit) Nilo. Das Gefängnis in Cabo war zuletzt vor zwei Jahren in den Schlagzeilen, als bei einer Revolte mindestens ein Häftling geköpft und dessen Kopf als Demonstration über die Gefängnismauer geworfen wurde. Weiter zu erwähnen gilt, dass das Gefängnis in den letzten zehn Jahren elf verschiedene Direktoren hatte. Im Gefängnis sind rund 400 Jungs in meist vierer Zellen (ca. 15 Quadratmeter gross) eingekerkert und die maximale Haftdauer beträgt drei Jahre. Dazu müssen die Häftlinge beim Antritt der Strafe zwischen 16 und 18 Jahre alt sein. In Brasilien wird mit einer sehr restriktiven Politik gearbeitet. Bereits für kleinere Vergehen kann man für längere Zeit hinter Gitter kommen.

Nach einer Personenkontrolle durften wir das Gefängnis betreten. Uns erwartete ein gedeckter Sportplatz und ca. 60 Häftlinge, welche uns mit Freude empfingen. Ein mulmiges Gefühl machte sich breit. Die Gedanken kreisten. Wer hat welches Vergehen begannen!? Wer ist ein Mörder? Wir starteten mit einem kurzen Demo-Spiel gefolgt von einer Trainingseinheit gemeinsam mit den Jungs. Viele waren begeistert dabei und zeigten für das erste Mal eine ansprechende Leistung. Im Anschluss folgte eine geimeinsame biblische Geschichte und Hjk nahm prompt das verlorene Schaf auf die Schulter. Als dann alle Schäflein wieder beisammen waren, folgte eine gemeinsamen Mahlzeit im Gefängnis.

Anschliessend durften wir in Begleitung von Nilo einen Blick hinter die Kulissen werfen. In einem benachbarten Gefängnistrakt trafen wir auf zig Jugendliche. Vor den Zelleneingängen im gemeinsamen Waschraum tauschten wir uns aus und erzählten den Jugendlichen aus unserem Leben und Gott. Eine Stimmung die unter die Haut ging. Wir sassen auf wenigen Quadratmetern mit Mördern, Räubern, Drogensüchtigen und Vergewaltigern zusammen. Alleine. Ohne Wachen. Doch wenn man nach links und rechts geschaut hat, sah man keine Verbrecher. Keine Mörder. Nein, man sah Kinder. Man sah Söhne! In den Augen schien man Hoffnung zu erblicken. Hoffnung nach Leben. Dadrin lebt man nicht, glaubt mir. An einem solchen Ort stirbt man – innerlich. Wir verliessen diese Ort und waren berührt, ja gar mitgenommen. Und viele stellten sich in dem Moment die Frage – Wieso?

Im Anschluss an das Gefängnis riss die emotionale Überflutung an Impressionen nicht ab. Nilo führte uns in ein Haus in einer benachbarten Favela. In diesem Haus nahm und nimmt er Jugendliche auf, welche nach dem Gefängnis keine Anschlusslösung haben. Er gibt ihnen eine Chance, bietet ihnen eine einfache Bleibe und unterstützt sie beim Suchen von Anschlusslösungen. Und wie bereits erwähnt, alles ehrenamtlich.

Wir verliessen die restriktive Umgebung und besuchten am Nachmittag ein Projekt in Escada von Trainern, welche sich die Woche zuvor bei uns haben ausbilden lassen. Da das Wetter nicht mitspielte, blieb uns eine weitere Trainingseinheit vorenthalten. Wir trafen jedoch eine sehr aktive und wohlwollende Crew an, welche sich bestens um die Kinder kümmerte. Auch das von der Konolfinger-Schulklasse gesponserte Material war bereits im Einsatz.

Am nächsten Tag besuchte ein Teil der Gruppe ein Favela nahe dem Stadtzentrum von Recife. Das direkt am und auf dem Wasser gebaute Armenviertel war ein weiterer eindrücklicher emotionaler Höhepunkt. Gemeinsam mit Michael und Fernando besuchten wir Familien bei sich zu Hause. Das Angetroffene ist schwierig in Wort zu fassen. Die Familien in den Favelas leben in krassen Armutsverhältnissen. Familien über mehrere Generationen leben teilweise in einem Raum, sogar mit Kleinkindern. Das Klo meist nicht abgetrennt, eine Küche oft Wunschdenken. Die „Gebäude“ gebaut aus Wellblech und wackligen Steinen scheinen nicht immer so stabil. Umringt werden die Häuser vom Müll, Müll und noch mal Müll. Quasi eine Recycling-IKEA auf der Strasse. Viele Frauen sind schwanger, bereits die Jüngsten. Die Kriminalität ist hoch. Eine Frau erzählte uns, ihr Mann wurde vor drei Monaten eines Mordes beschuldigt, obschon er unschuldig sei. Die Haut der Leute sind teilweise mit Schnitt- und Schlitzwunden durch Messer geradezu übersät. Schier unvorstellbar das solche Lebensverhältnis, dass so etwas in einer heutigen modernen Gesellschaft noch akzeptiert werden kann.

Aus Respekt gegenüber den Betroffenen, verzichten wir in diesem Blog auf Bilder.

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